Ray-Güde Mertin (Hg.)
Tigerin und Leopard

Erotische Erzählungen brasilianischer Autorinnen
Ausgewählt von Marcia Denser
1988. 232 Seiten. Gebunden

ISBN 9783250100591

»Ich habe versucht, das in mir brennende Feuer auf die leblosen Dinge zu übertragen, denn es war stärker, als dass ich es alleine hätte ertragen können ... dabei entdeckte ich, dass Schnee eingefrorenes Feuer ist.« Rachel Jardim

Dank dieses Zitats ließe sich Erotik als »Kunst, das eigene Feuer zu entdecken«, definieren, und man hätte damit eine weniger hinterhältige Fährte als das lexikalische »Liebeskunst« gelegt. Erotik wird einem solchen Zugriff immer der falscheste aller Gegenstände sein, denn sie ist so verschieden, wie es Umsetzungen dieses inneren Feuers gibt, und vielleicht sind das alle erotischen Augenblicke der Welt.

Die fünfzehn hier gesammelten Erzählungen zeigen solche Augenblicke oder sind sie schon selbst, als sprachliche Beschwörung einer Leidenschaft. Das reicht von der Sehnsucht nach dem, was »dieser ungleichen Bestie, dem Weibchen in mir«, gewachsen ist, über mystische Erlebniswelten bis zu dem Überdruss an neurotisierten Liebesansprüchen.

Neben dem Feuer, das auf so verschiedene Weisen die Erzählungen antreibt und formt, haben diese mit dem obigen Zitat noch die hier entscheidende Fähigkeit gemeinsam, den Antrieb in Sprache und Kunst zu verwandeln. Vielfach nährt sich die Erotik gerade aus den Bedingungen des nur Geschriebenen. So gibt eine Erzählerin ein Inserat auf, damit jemand eine Geschichte für sie niederschreibe, und die kann sie dann nur andeuten, um sie nicht zu verlieren. Sie will von dieser Geschichte befreit werden, ohne sie aber preisgeben zu müssen, und damit wohl auch den Eros.

Entdecken und genießen kann man bei diesen brasilianischen Autorinnen somit nicht das alte Bild vom edlen Wilden, das unsere Sehnsüchte mit einem Schauder im Rückenmark zu bedienen weiß. Jede der Erzählungen ist ein Versuch, ein Stück individueller Erotik gerade über den Umgang und im Bewusstsein von konventionalisierten »Liebeskünsten« zu verwirklichen. Um diesen immer ein Stück voraus zu sein, um Abstand zu halten, braucht es ein gehöriges Maß an Phantasie und Witz, und damit wird hier nicht gegeizt.




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